Sonntag, 14. August 2016

Delphine de Vigan - Nach einer wahren Geschichte

Roman, Rezension

Nach ihrem großen Erfolg mit dem autobiographischen Roman „Rien ne s’oppose à la nuit“, der das Leben ihrer Mutter rekonstruiert, begibt sich Delphine de Vigan auf Lesereise und absolviert zahlreiche Pressetermine. Nahezu ausgelaugt von der öffentlichen Erwartung, der sie – schon als Kind auffällig schüchtern und zurückhaltend – kaum gerecht werden kann, trifft sie zufällig auf eine Frau, L., die sie fasziniert. Ihre Selbstsicherheit und Gelassenheit, Freiheit von jeder Erwartung der Außenwelt. Sie freunden sich an und mehr und mehr rückt L. in das Leben der Autorin. Diese versinkt derweil in einer regelrechten Depression, das Leben geht weiter, aber ihre Arbeit nicht. Ihre einzige Verbindung zu anderen Menschen wird L., ansonsten zieht sie sich mehr und mehr zurück. Die Frauen kommen sich näher, diskutieren über Literatur und die Aufgabe eines Autors. Ab und ab beschleicht die Erzählerin jedoch das Gefühl, dass L. sie kopiere, ihr immer ähnlicher wird und geradezu ihr Leben, das sie nicht mehr leben kann, übernimmt.

Wer die Bücher von Delphine de Vigan kennt, weiß, dass sie einem unmittelbar packen und an den Roman fesseln kann. So ist es auch dieses Mal, die hohen Erwartungen werden nicht enttäuscht. Doch es ist nicht nur der Schreibstil, der überzeugen kann, sondern ihr Spiel mit dem Leser und das Springen zwischen Wahrheit und Fiktion. Schon der Titel legt nahe, dass sie sich wieder realer Erfahrungen bedient hat, um einen Roman zu schreiben – doch ist dem wirklich so? Kann man der Autorin bzw. Erzählerin wirklich Glauben schenken? Diese Unsicherheit fasziniert und lässt einem immer weiterlesen in der Hoffnung, eine Antwort auf diese so relevante Frage zu finden, denn wie soll man das Gelesene einordnen: Realität oder Konstruktion? Soll man Mitleid mit der Autorin haben, die auf eine solch heimtückische Betrügerin reingefallen ist oder soll man ihr applaudieren, weil sie geschickt mit dem Leser spielt?

Unabhängig von dieser die ganze Lektüre überlagernden Frage bietet der Roman jedoch auch interessante Einsichten in das Innenleben eines Autors, der seine Geschichten nicht aufs Papier respektive in den Computer bringt: Die Zweifel, die immer mehr Raum einnehmen; die Gedanken, die manisch und schließlich lähmend werden. Aber auch die Thematik zwischen öffentlichem und privaten Bild – was sehen wir von einem Menschen und was davon ist nur Fassade? Kann man immer schauspielern oder gar lernen, jemand zu sein, der man gerne sein möchte? Da es sich um eine französische Autorin handelt, die noch dazu in Paris lebt, fand ich die erste Begegnung zwischen Erzählerin und L. besonders spannend, denn L. ist genau das, was man sich unter einer erfolgreichen und attraktiven Französin vorstellt – und wird von ihresgleichen bewundert und beneidet, wo man doch immer denkt, dass ihnen Selbstbewusstsein und Attraktivität in die Wiege gelegt worden sei.


Ein durch und durch faszinierendes Buch, das zudem von Dumont in eine wunderschöne Verpackung gehüllt wurde, in diesem Falle lohnt es sich wirklich nicht zur elektronischen, sondern zur Hardcover Version zu greifen.
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