Sonntag, 15. März 2015

Michel Houellebcq - Soumission

Francois, Dozent der Literatur an der angesehenen Sorbonne III, interessiert sich nur mäßig für das Leben um ihn herum. Huysmans gilt seine ganze Aufmerksamkeit – und den jungen Studentinnen, mit denen er Affären und kurze Beziehungen im Rhythmus des akademischen Jahres zu haben pflegt. Als 2022 die Präsidentschaftswahlen anstehen, ist er entsprechend eher uninteressiert, bis Frankreich vor einer nie dagewesenen und dramatischen Konstellation steht: die beiden Kandidaten des zweiten Wahlgangs werden vom Front National und der Muslimbruderschaft gestellt. eine unmögliche Wahl – rechtsextrem oder islamistisch. Die Parteien entscheiden sich für die Unterstützung der Muslime und bald schon sieht das Land sich einer unglaublichen Veränderung gegenüber.

Das Buch, das am Tag der Charlie Hebdo Attentate veröffentlicht wurde ist für mich das mit Abstand beeindruckendste Werk Houellebecqs. Er bleibt zwar immer noch bei dem (männlichen) Individuum, das gewissen Bindungsschwächen aufweist, doch dieses Mal sind Politik und Religion die großen Leitthemen des Romans. Längere Passagen erläutern die Lage Frankreichs und das komplizierte Verhältnis zwischen Christen, Juden und Muslimen; die gespannte politische Lage mit einer unglaublich starken Rechtsextremen Partei und die Angst vor einer Islamisierung. Besonders überzeugend für mich die Konstruktion eines eher apolitischen Protagonisten, der denkt alles ignorieren und sein Leben in der Seifenblase fortführen zu können. Als Literaturwissenschaftler mit einer scharfen Beobachtungsgabe ausgestattet, kann er die kleinen Veränderungen – zunächst individuell und weniger bedeutend, wie der Umzug der Familie einer jüdischen Studentin nach Israel noch bevor eine endgültige Entscheidung gefallen ist, das Verschwinden der koscheren Produkte im Supermarkt, die Frauen, die plötzlich Hosen statt Miniröcke tragen – zuerst wahrnehmen und nach und nach in ein neues Bild seines Heimatlandes zusammenfügen. Als er selbst unmittelbar von den neuen Strömungen betroffen wird, muss auch er sich mit den neuen Gegebenheiten auseinandersetzen und sich der Frage stellen, an welchen Gott er letztlich glaubt.


Auch ohne die Verkaufszahlen fördernden Ereignisse des Januar 2015: ein durch und durch intelligentes Gedankenkonstrukt, das auf ganzer Linie überzeugen kann. Sprachlich ebenso ansprechend und erfreulich fernab des gewohnten Houellebcqschen Hang zum Vulgären. 
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